Gouffre Berger 1996

Die Gouffe Berger - ein Objekt das wohl fast jeder gerne mal „machen" möchte. Aber schon das offizielle Genehmigungsverfahren mit seinen ca. 2 Jahren Wartezeit ist schon abschreckend. Illegal ginge es sicher auch. Ob das aber die beste Lösung ist (vorallem wenn tatsächlich was passiert)? Ein erheblicher Material- und Arbeitsaufwand ist mit der Höhle natürlich auch verbunden. Obwohl sie zu den „leichteren"(ha!) -1000 gehört werden 700 Meter Seil benötigt. Und auch die Fußstrecken haben es in sich.
Durch Glück und Zufall wurde ich von den Furets Jaunes Seyssins (FJS) völlig unerwartet eingeladen die Gouffre Berger zu befahren. Und am 26.10 war es dann soweit. Zu fünft fanden wir uns gegen 10.00 Uhr am Parkplatz „La Molière" oberhalb von Engins ein. Dort trafen wir noch die Gruppe, welche den Einbau von -640 bis Syphon bewerkstelligt hatte. Wir würden das gleiche wieder ausbauen. Die Gruppe bestand aus zwei Gelegenheitsspeleologen (Bergsteigern aus Grenoble) und zwei Höhlen"cracks" aus der Vaucluse sowie mir selber. Nach etwa 45 Minuten leichtem Abstieges waren wir am Eingang und zogen uns um. Ziemlich genau um 12.30 Uhr war der Letzte eingestiegen. Und ich hatte erhrlich gesagt etwas Angst ob das alles vielleicht nicht doch eine Nummer zu groß für micht ist. Minus 1120 runter und rauf in einer Tour - gerade mal die Hälfte hatte ich bis dahin in einer reinen Schachthöhle bewältigt.
Die Gouffre Berger ist ein Klassiker unter den tiefen Höhlen. Und auch eine der ersten erforschten tiefen Höhlen.
Sie folgt in ihrem Verlauf in etwa dem Schichteinfallen, an der Grenze zwischen Kalken des „urgonien" und wasserundurchlässigeren „Marno-Calcaires Hautriven". Es handelt sich kretatische Sedimente. Die Gesamtiefe der Höhle wird mit -1248 Metern angegeben. Bei -1122 ist jedoch der erste Syphon erreicht. Durch Tracer konnte ein hydrologischer Zusammenhang mit den tiefergelegenen Cuves des Sassenage nachgewiesen werden. Der Eingang der Cuves de Sassenage befindet sich bereits am Rand des Tales der Isère.
Die Eingangspartie der Gouffre Berger präsentiert sich als stetig nach unten gerichtete Schachtfolge mit zwei zwischengeschalteten relativ engen Mäandern. Unsere Gruppe war meines Empfindens nach sehr schnell. Ich war bald schon recht erschöpft, der Schweiß lief mir in Strömen herunter. Ab dem „Puits Alto" auf -256m wird die Höhle wirklich großräumig. Bereits hier kann die Höhle bei Hochwasser zulaufen. In schnellem Tempo eilten (!) wir nach unten, unter anderem an einem mit Schnüren versehenen z.Zt. völlig auf dem Trockenen liegenden Schlauchboot. Ich mußte wahnsinnig Acht geben nicht auszugleiten und konnte mich kaum umsehen. Sicher, alles ist groß und man sieht wirklich tolle Tropfsteine. Nur alles im Eiltempo. Hier und da traf man Andere von den FJS die Photos machten. Nach 2 Stunden erreichten wir die -640m und zogen unsere Neopren - Hosen an. Ab nun ging es etwas langsamer, aber immer noch schnell, voran. Ab dem „Vestiaire" befindet man sich im Höhlenfluß, die Ganghöhe und Breite ist bei 2-5 Metern. Teilweise gibt es wunderschöne Tropsteinschmuck zu sehen. Man hangelt sich am Rande des Flusses an (teilweise katastrophalen, mantellosen) Seilen entlang. Nach einer weiteren Stunde befanden wir uns auf -740 am Beginn des „Grand Canyon". Dieser ist tatsächlich groß und recht lehmig d.h. rutschig. Die Handseile sind wirklich vonnöten. Die Strecken, welche man in der Höhle zu Fuß zurücklegt sind in der Regel sehr steil. Ab -900m ca. kommt man wieder in einen „engeren", aktiven, Teil der Höhle. Dort hat sich auch der Unfall letzten Sommer ereignet. Die Höhle wechselt häufig den Charakter. War sie im Eingangsbereich eng und schmucklos, so ist sie bis -640m sehr groß und mit Tropsteinen aller Größe geschmückt. Danach wähnt man sich in einer schönen, eher horizontalen Wasserhöhle. Es schließt der Grand Canyon als riesiger, lehmiger schmuckloser Gang an. Nun wird es wieder aktiv und schwarze Wände prägen das Bild. Schächte und Traversen wechseln sich ab. Es war recht naß und ich war froh, daß wir uns entschieden hatten die Neoprenhose anzulassen. Darüber hatte ich nur ein langärmeliges Unterhemd an, was sich später als fatal erweisen sollte. Bald gelangte man an den Beginn der Pseudo Syphon Zone auf -1122m. Und etwa 5 Stunden nach dem Einsteig befanden wir uns am ersten Syphon auf -1122m. Schnell und einfach war es. Und wenig spektakulär hier unten. Das ergreifenste vielleicht der Gedanke, daß mein in Sassenage geparktes Auto wohl näher war als der Eingang der Höhle.
Wir fühlten uns recht gut und begannen gleich mit dem Aufstieg und Ausbauen. Bereits am ersten Schacht (von Unten) bekam ich Krämpfe in den Oberarmen. Das hatte ich noch nie gehabt. Das Ganze wurde dadurch begünstigt, daß ich nur ein langes Unterhemd anhatte und man anfangs teilweise ganz im Wasser hing. Als ich den „Grand Canyon" erreicht hatte war ich heilfroh. Ich beschloß als erster langsam bis auf -640 zu gehen. Zwischendrin passte ich nocheinmal die anderen ab (an einer Stelle wo noch Material wie Infusionslösung etc. vom letzten Unfall herumstand). Auf -640 schälte ich mich erstmal aus den Klamotten und wickelte mich in meine Rettungsdecke ein bis die anderen nach langer Zeit tröpfchenweise eintrafen. Als wir was gegessen hatten packte ich noch 70m (ausgebautes) Seil und ca. 5 Kilo Karbid in bzw. an den Schleifsack. Die Oberarmkrämpfe kamen mittlerweile sogar beim Knotenbinden. Ich lief wieder als Erster und hatte großen Abstand zum Rest. Ich fand mich völlig allein in der Höhle wieder. Es war wirklich beeindruckend. Man läuft über Sinterfälle, durch Tropfsteinwälder, bahnt sich den Weg durch Versturzblöcke. Alles bei gigantischen Grangdimensionen. Man blickt häufig nach links, rechts und oben und sieht nur schwarz - Decke und Wände sind zu weit entfernt (ja,ja, meine Lampe funktionierte gut, ihr Lästermäuler!). Der Weg ist mit Trassierbandfetzen ausgelegt welches katzenaugeratig glänzt. Es wirkt richtig unheimlich. Interessant welche Gefühle ich hatte. Vom Staunen über Euphorie bis zu erschöpfungsbedingten diffusen Angstzuständen und großer Trauer. Zum Glück wurden bis zum „Puits Alto" die Arme kaum beansprucht. Dort angekommen mußte ich ca. 15-20 Minuten auf den nachfolgenden warten. Der weitere Aufstieg wurde für fast alle Beteiligten zu reinen Quälerei. Schächte und Mäander wechseln sich ab. Es muß am Schachtfuß viel gewartet werden. Der Schleifsack wird immer schwerer und das daraufgebundene Seil stört ständig. Meine Armkrämpfe kamen aber nicht mehr so häufig. Ich stieg als erster aus. Es war wie im Film. sternenklarer Himmel mit Vollmond. Nur der Wehrwolf fehlte. Ich holte meine Uhr aus dem Rucksack, es war 6.04 Uhr. Nach siebzehneinalb Stunden wieder draußen. Die Abstände in unsere Gruppe wurden immer länger. Mein Nachfolger kam gegen 6.30 Uhr hinaus. Erst um 8.00 Uhr konnte ich die Autoschlüssel in Empfang nehmen. Ich war schon beinahe festgefroren. Zum warmbleiben sah ich mir die nähere Umgebung an. Es gibt einen provisorischen Helikopterlandeplatz und zwei Gedenktafeln für drei ums Leben gekommene HöFos. Zwei von ihnen waren erst siebzehn Jahre alt. Der Aufstieg zum Auto war schließlich die Belohnung für alle Qualen. Kurz vor dem Wanderparkplatz hatte man freie Sicht und strahlenden Sonnenschein. Das Tal befand sich im Nebel. So blickten wir auf Mont Blanc, Chartreuse und Belledonne während wir auf den Letzten noch sehr lange (1 ½ Stunden) warteten. Er stieg zwar nach Sonnenaufgang aus, aber er wurde dennoch vom Wehrwolf gepackt... O.K. ich gebs zu. Er hat ihn sich nur gelaufen, den Wolf.

Autor: Bernhard Köppen



Dieser Aufsatz wurde 1996 als Originalbeitrag in "DER HÖHLENFORSCHER - Mitteilungsblatt der Höhlenforschergruppe Dresden", Heft 3, S. 68 bis 70, veröffentlicht.
(Bezugsadresse: Dipl.-Min. Roland H. Winkelhöfer, Bulgakowstr. 34, 01217 Dresden).