Mexico 1998 - Sotano de las Golondrinas
Der Sotano de las Golondrinas ist mit 333 Metern (bzw. 370 Metern, wenn von der
höheren Seite gemessen wird) einer der beeindruckensten Tageslichtschächte der
Welt. Da sich die Höhle nach unten hin glockenförmig vergrößert kann die gesamte
Strecke frei abgeseilt werden.
Anfang Januar 1998 ergab sich für mich nach der PEP-X-mas Expedition durch
einen Zufall die Möglichkeit diese Höhle zu befahren.
Der Sotano de las Golondrinas liegt in der Nähe des örtchens Aquismon, im Osten
des Bundesstaates San Louis Potosi.
Es handelt sich hier um tropischen Kegelkarst, der zu dem etwa 500 km langen, in
nord - südlicher Richtung verlaufenden, Gebirgszug Sierra Madre Oriental gehört. In
der Sierra Madre Oriental findet man nicht nur den Karst um Aquismon mit seinen
tiefen Schächten, sondern auch andere stark verkarstete Gebiete mit große
Systemen wie zum Beispiel dem Systema Purificacion (90km).
Der Eingang des Schachtes soll bereits seit 3000 Jahren bekannt sein, jedoch erst
1967 kam es zur Erstbefahrung. Im Jahre 1969 wurde die Fortsetzung der Höhle auf
- 512 Meter entdeckt.
Der Sotano de las Golondrinas ist ein großer Anziehungspunkt für Höhlenforscher,
Sport-Höhlengänger und Extremsportler. So wurde mittlerweile sogar ein
sogenannter "base jump", aus einem Hubschrauber mit Fallschirm, in den Schacht
durchgeführt. Der Ort Aquismon hat sich daher in Ansätzen zu einem kleinen
(Höhlen-) Touristenzentrum entwickelt. So gibt es beim Gemischtwarenhändler
Postkarten mit lokalen Karst - Motiven zu kaufen. Am Tag unseres Besuchs wurde
von den Anwohnern gerade ein Drahtzaun um den Schacht gezogen und in
unmittelbarer Nähe ein kleiner Zeltplatz eingeebnet. Außerdem müßen vor der
Befahrung der Höhle seit kurzem gewisse Naturschutzregeln durch Unterschrift im
Höhlenbuch anerkannt werden (keine Gegenstände in den Schacht werfen, nicht
Schreien, keine Hubschrauber etc.). Danach sind an den einheimischen (wohl von
den ortsansässigen Bauern bestimmten) Aufseher umgerechnet etwa DM 2.- Gebühr
zu entrichten. Diese Kommerzialisierung stieß einigen meiner US-amerikanischen
Kameraden sehr unangenehm auf. Sicherlich ist das eine bedauerliche Entwicklung.
Aber nachdem dieser Schacht so häufig befahren wird, all das auch nicht allzu
erstaunlich. Die Befahrung dieser Höhle ist eben eine rein touristische und
sportliche Angelegenheit.
In einem Artikel über Mexiko in der Zeitschrift Reflektor 2 / 1982 schreibt Urs
Widmer, daß vor der Befahrung eine schriftliche Genehmigung bei der
Gemeindeschreiberei eingeholt werden mußte. Außerdem dauerte der Zustieg von
der Straße zum Schacht 1 1/4 Stunde. Heute führt die Straße fast daran vorbei. Der
Zustieg dauert kaum 20 Minuten. Noch 1979 mußte der ganze Weg von Aquismon
zu Fuß zurückgelegt werden ( 4 bis 6 Stunden). Es mag an dieser Stelle überzogen
klingen, aber die Imbiß- und Bierbude in der Höhle scheint so gut wie
vorprogrammiert.
Nicht nur die Tiefe, auch der Durchmesser dieses Tageslichtschachtes ist
beeindruckend groß. Bei einem Blick nach unten kann der Boden bestenfalls erahnt
werden. Häufig stürzen sich laut kreischend Schwalben und Papageienenschwärme
in den Schacht. Die Tiere nisten auch dort.
Zur Befahrung hatten die amerikanischen Kameraden ein 350 m langes, 12 mm
starkes, Polyesterseil, welches für Gewerbekletterer / Fensterputzer hergestellt wird.
Dieses Seil zeichnet sich durch hohe Abriebfestigekeit und äußerst geringe
Seildehnung aus. Zum Abseilen wurden Racks verwendet und zum Aufstieg das
"Ropewalker" System angewandt. Diese in den USA dominierende Technik
erfordert viel weniger Kraft als das in Europa (und mittlerweile auch bei vielen
amerikanischen Expeditionen) übliche SRT - "Frosch" - System. Der große Nachteil
des "Ropewalker" liegt darin, daß man Umsteigestellen sehr schlecht bewältigen
kann, da Steigklemmen an beiden Füßen angebracht sind. Deshalb kamen in den
U.S.A. immer die dicken (11mm), robusten "Bluewater" Seile zum Einsatz, die man
auch mal über Kante legen kann.
Wegen der großen Tiefe war am Schacht erst einmal Warten angesagt. Die
Seilkommandos wurden per Walkie Talkie gegeben. Ich sollte als Letzter abseilen.
![Sotano de las Golondrinas (21KB)](../../images/berichte/mexiko_1998/golon_1.jpg)
Bernhard beim Einstieg
Als es dann soweit war machte ich mir keine großen Gedanken, sondern ging die
Sache wie jeden x-beliebigen Schacht an. Erst nach ca. 50 m Abseilstrecke werden
die gesamten Dimensionen offenbar. Die Gefühle schwanken wohl bei fast allen
Befahrern zwischen Begeisterung und großer Unsicherheit. Wegen der Tiefe und
der großen Entfernung zu den Wänden ist es sehr schwer die Abseilgeschwindigkeit
richtig einzuschätzen. Der Boden scheint lange Zeit nicht näher zu kommen. Als ich
die ersten Details am Grund erkennen konnte stoppte ich meine Fahrt erst einmal
um das Abseilen nicht ungesund schnell zu beenden. Die Strecke von 333 m hatte
etwa 6 bis 7 Minuten gedauert. Dies ist sehr schnell, scheint im Schacht aber sehr
lange.
Der Schachtgrund ist mit ca. 300 m Durchmesser außerordentlich groß. Es ist
möglich, gemütlich herumzuspazieren. Der Boden besteht aus einer dicken Gunao-
Humus-Schicht, die mit grünem Moos bewachsen ist und in die sich ein etwa 2 Meter
tiefer Canyon eingefressen hat. Es sieht aus wie auf Kalenderbildern irischer
Wiesenlandschaften. Somit ergibt sich ein reichlich surreales Landschaftsbild.
Einige Höhlenforscher biwakieren hier um den Sonnenaufgang in der Höhle zu
erleben. Unter bestimmten Feuchtigkeits und Temperaturverhältnissen kommt es
sogar zu Wolkenbildung im Oberen Teil des Schachtes. An einer Seite des
Schachtfußes schließt die viel engere Fortsetzung des Sotano de las Golondrinas an,
welche in mehreren Stufen auf eine Gesamttiefe von etwa -500 m führt. Diese
Fortsetzung wird kaum befahren. Hauptattraktion ist verständlicherweise der
Einstiegsschacht.
Nachdem das Abseilen schon ungewöhnlich lange erscheint (und ganz nebenbei
bemerkt ja auch ist) gilt das Gleiche für den Aufstieg (den ich dank "ropewalker"
Technik in sensationellen 30 Minuten bewältigen konnte; Mit der Frog Technik
wären je nach Kondition wohl 1 1/2 bis 4 Stunden zu veranschlagen). Wegen den
großen Dimensionen entsteht der Eindruck, daß man sich nicht fortbewegt, obwohl
die Aufstiegsgeschwindigkeit viel größer als mit der herkömmlichen Technik ist.
Glücklich und erschöpft erreichte ich die Oberwelt.
Bemerkenswert an der Gegend um Aquismon ist, daß der Sotano de las Golondrinas
nicht der einzige tiefe Direktschacht ist. Es gibt eine Vielzahl von Einstiegsschächten
mit Tiefen zwischen 100 und 200 m. So befuhren wir am nächsten Tag einen dieser
"gewöhnlichen" 120 m tiefen Schächte. Ich allerdings nur bis auf 3 m über dem
Boden, da sich der Umrechung der Tiefe von Inches in Meter ein kleiner Fehler
eingeschlichen hatte. Dieser hatte die Wahl einer falschen Seillänge zur Folge. Na,
ja. Ein Franke im Ausland eben.
Dank an die Gruppe um Joe Park (insbes. Jim Hall) deren Ausrüstung ich benutzen
durfte. Meinen PEP-Kameraden aus Charley Savvas' Power Wagon gebührt Dank
für das geduldige Warten.
Autor: Bernhard Köppen
Dieser Aufsatz wurde 1998 als Originalbeitrag in "DER HÖHLENFORSCHER -
Mitteilungsblatt der Höhlenforschergruppe Dresden", Heft 2, S. 38 bis 41,
veröffentlicht. (Bezugsadresse: Dipl.-Min. Roland H. Winkelhöfer, Bulgakowstr. 34,
01217 Dresden).
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